Die Ukraine ist ein Land, das in weiten Teilen geprägt ist von Armut, Korruption – und einem Krieg im Osten, der seit vielen Jahren das Leben der Menschen beherrscht. Umweltschutz? Bäume pflanzen? Fledermäuse betreuen? Alles Luxusgedanken? Keineswegs, schreibt Tamara Worzewski…
In einem von Armut und Korruption geplagtem Land, in dem sich viele in erster Linie um ihr tägliches Brot kümmern müssen, könnte Umweltbewusstsein wie ein Luxusgedanke anmuten. Doch einige Ukrainer konsolidieren in ihrer Zivilgesellschaft eine neue Achtsamkeit, wie Alexander Bokotey mit dem Institut für ökologische und religiöse Studien (IERS) und dem osteuropäischen Forum IRCEF demonstriert.
Fledermausbilder mit Infotexten auf mannshohen Hochglanzpostern schmücken den Flur der Bischofsresidenz in Ushgorod, wo Alexander Bokotey heute Nachmittag eine charmante Ausstellung zum Schutz dieser Kirchturmbewohner präsentiert. Vorgestern pflanzte der Umweltschützer mit Priestern, Bischöfen, Ökologen und Dorfbewohnern knapp 650 Eichen und Linden zu Ehren verschiedener kirchlicher Jubiläen. Und weil es ökologisch notwendig ist, denn wegen der Abholzung der transkarpatischen Wälder kommt es nun häufiger zu Überschwemmungen, die erheblichen Schaden anrichten. Vor fünf Tagen hielt Bokotey auf der Bischofskonferenz in Lviv einen Vortrag über Schöpfungsverantwortung und Naturschutz, in seiner Funktion als Direktor des Instituts für ökologische und religiöse Studien (IERS).
Tonnenweise Fledermausmist schaufeln
Leidenschaft und Gewissheit sprudeln aus dem Familienvater, Mitte 40, der sehr sachlich argumentiert. So leuchtet auch jedem gleich ein, was zum Beispiel den Schutz von Fledermäusen ausmacht. Die treuen Kirchturmbewohner seien schließlich nicht nur als Teil der Schöpfung zu ehren. „Wenn wir diese Tiere schützen, erhalten wir auch das Kloster, fördern die soziale Gemeinschaft und stellen darüber hinaus guten Dünger für die Felder bereit“, erklärt Bokotey, der zusammen mit Priester und Gemeinde auch mal einen ganzen Tag lang tonnenweise Fledermausmist aus dem Kirchendachstuhl schaufelte.
Diese effiziente teambildende Maßnahme, die Ökologie mit Sozialer Arbeit und Religion verbindet, ist ein repräsentativer, jedoch nur sehr kleiner Teil von Bokoteys Arbeit. Der IERS-Direktor ist auch Exekutivsekretär der IRCEF-Organisation (Interreligious & Civil Environmental Forum of Eastern Europe), die sich mit Blick auf die dringenden ökologischen und sozialen Probleme in Osteuropa engagiert.
IRCEF will die Zivilgesellschaft mit ihren verschiedenen Religionen, Konfessionen und Umweltorganisationen vereinen, damit Naturschutz als gemeinsame Schöpfungsverantwortung begriffen wird und so eine friedvolle und nachhaltige Transformation in Osteuropa möglich wird. „Wir wollen bei der lokalen Bevölkerung ein Bewusstsein für ihre Umwelt schaffen und arbeiten zum Beispiel mit Pfarrgemeinden, um von dort aus die restliche Gesellschaft zu erreichen“, erklärt Bokoteys junge Kollegin Nataliia Kulia. IRCEF-Mitarbeiter trainieren geistliche Führer, damit sie in ihren Gemeinden ökologische Aufklärung betreiben. „Wir wollen auch Kinder und Studenten erreichen, damit die ökologischen Ideen mit der neuen Generation heranwachsen.“ IRCEF übersetzt eine große Anzahl von Umweltmaterialien, veranstaltet unter anderem Workshops, in denen Kinder Fledermaus-Häuschen bauen, konzipiert zum Thema bebilderte Märchenbücher und will sich nun an einer App versuchen – mit ökologischen Inhalten und kirchlichen Terminen.
Studenten suchen neue Wege
Nataliia war vor sechs Jahren die erste Stipendiatin eines mittlerweile jährlich stattfindenden Programms der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), das Studenten einen Aufenthalt an deutschen Universitäten ermöglicht. Nach ihrem Studienjahr zu ökologischem Tourismus an der LMU München kehrte sie mit wichtigem Knowhow zurück und fühlte sich wesentlich erfahrener und unabhängiger: „Ich erlebte einen neuen Kontext und Horizonterweiterung im Fühlen und Verstehen“, fasst sie zusammen.
„Unsere Studenten suchen in Deutschland neue Ideen, Wege und Perspektiven für uns“, ergänzt Bokotey, dem die deutsche Unterstützung sehr viel bedeutet. Sein IERS-Institut wurde seinerzeit mithilfe von Renovabis und Professor Markus Vogt von der LMU München aufgebaut. Vogt und Mentoren wie Wilhelm Kulke von der DBU unterstützten und inspirierten ihn über Jahrzehnte. „Markus Vogt sagte mir, dass ich eine Plattform schaffen muss für den Dialog zwischen verschiedenen Religionen, Schulen, Wissenschaftlern und allen anderen Menschen.“ Sodann entstand anno 2016 IRCEF als Ergebnis der langjährigen Zusammenarbeit von Naturschutzbund (NABU) und dem IERS, seitdem entwickelt das Forum gemeinsame Projekte von NABU und Kirchen.
IRCEF fungiert mittlerweile als Schnittstelle zwischen ost- und westeuropäischen Umweltschutzbemühungen. Bokotey ist überzeugt, dass das kirchliche Engagement das Puzzlestück sei, das sie für den Naturschutz in der Ukraine und Osteuropa brauchen, auch angesichts der Autorität, die die Kirche in der ehemaligen Sowjetunion hatte.
Dass Kirchen in seinem Land eine starke Stimme haben können, erlebte der in der Sowjetunion aufgewachsene Bokotey bereits 1995 nach dem Zerfall der UdSSR. Als der damals frisch graduierte Biologe ein Jahr lang ohne Einkommen als Lehrer arbeitete und sein korruptes Land nicht mehr verstand, fand er Antworten bei seinem katholischen Priester. So beteten sie, dass die Regierung auf die Bedürfnisse der Menschen hören möge. Und wenn sie das nicht täte, dass sie abgeschafft würde. Starke Worte, die sich damals sonst kaum einer zu sagen traute, sagt Bokotey anerkennend. Bald darauf überzeugten Bokotey und Vogt mehrere ukrainische Bischöfe, Umweltkommissionen zu schaffen.
Bischöfe haben besonderen Einfluss
Heute sprechen Priester und Bischöfe verschiedener Religionen und Konfessionen über staatlich vernachlässigte ökologische Probleme, von denen es in der Ukraine einige gibt. So führt etwa das Fehlen eines Müllentsorgungssystems dazu, dass viele Menschen ihren Müll in Flüssen entsorgen, der dann in größere Flüsse und sogar in andere Länder gelangt.
IRCEF-Aktivisten trainieren daher geistliche Führer, damit sie als „Influencer“ im Fernsehen und auf Youtube auftreten. „Die Menschen kennen ihre Bischöfe und vertrauen auf das, was sie sagen“, erläutert Bokotey. Es habe also einen besonderen Wert, wenn Bischöfe ihre lieben Gläubigen ermahnen, dass Müll getrennt oder eine Landschaft unbedingt beschützt werden solle. Seit zehn Jahren strahlen Bokotey und seine Mitstreiter jede Woche eine fünfminütige ökologisch-religiöse Sendung im lokalen Fernsehen aus, die anschließend auf Youtube gestellt wird. „So teilen wir auch unsere ökologischen Ideen mit der lokalen Bevölkerung.“
Gleichzeitig arbeitet IRCEF mit muslimischen und jüdischen Gemeinden zusammen. Heute umfasst das IRCEF in insgesamt 15 Ländern über 70 Organisationen und über 20 Einzelmitglieder – die zusammen drei Religionen und fünf Konfessionen vertreten. Geplant sind Projekte zum Schutz von Klima und Waldökosystemen in den Karpaten, sowie die Etablierung nachhaltiger Netzwerke von Gläubigen und NGOs zum Naturschutz im postsowjetischen Raum.