Genau das waren die letzten Worte unserer geliebten Schwester Anneliese. Sie hatte noch kurz zuvor mit letzter Kraft gebetet: „Jesus, Maria!“ Da begann unsere indische Schwester Elisabeth zu weinen. Darauf verstarb Schwester Anneliese am Silvestertag ungefähr um 15.00 Uhr zur Barmherzigkeitsstunde, am letzten Tag des Jahres 2012.

Wie gerne würde ich jetzt hier in dieser Kapelle Euch Zeugnis geben von der Liebe und Hingabe von Sr. Anneliese – hier in dieser Kapelle, in der sie so oft gebetet hat. Oft in der Nacht, da sie immer wieder sagte, dass sie den lieben Heiland nicht alleine lassen könne. Sie opferte diese nächtlichen Anbetungen des eucharistischen Herrn für ihren tragisch verstorbenen Ehemann und als Mutter ihrer inzwischen schon lange erwachsenen Tochter und ihrem erwachsenen Sohn. Sie betete viel in meinen persönlichen Anliegen, in den Anliegen der Gemeinschaft „Stabat Mater Maria“ und den vielen meist armen und bedrängten Menschen, die immer im weit geöffneten Herzen von Schwester Anneliese einen wärmenden und trostreichen Platz fanden.

Ich bin jetzt bei meinem Bischof Dr. Andrew Francis, der in Pakistan Opfer eines gemeinen Attentates auf sein Auto geworden ist. Er ist jetzt querschnittsgelähmt. Doch besteht Hoffnung, gewisse Körperfunktionen wieder zu aktivieren, damit er weiterhin sein Bischofsamt ausführen kann. Um ihn zu retten habe ich ihn nach Deutschland geholt. Jetzt braucht der Bischof dringend meine persönliche Hilfe und menschliche Zuwendung. So ist mein Herz zerrissen zwischen dem Martyrium des Bischofs und dem Verlust von Schwester Anneliese. Ein Verlust, den wir alle zutiefst verspüren.

Wie kann ich jetzt nicht weinen?

Dr. Svetlana Herasimuk sagte einmal: „Anneliese könne leben ohne Schönborn, aber Schönborn nicht ohne Anneliese!“ Tag für Tag ging sie von Haus zu Haus: zu den Kranken und Bettlägerigen. Sie macht ihnen die Betten, ließ ihre Kleidung waschen, reinigte die Häuser, besorgte für den Winter Bedürftigen das Brennmaterial, sorgte sich um ärztliche Behandlung und schickte so manchen in Erholung und zur Kur nach Sinjak oder andere Kurorte. Sie ließ verfallene Häuser und Hütten der Armen wieder bewohnbar herrichten.

Sie sah die Not der Menschen, die zumeist andere nicht bemerkten. Und weit mehr noch waren ihre beherzten Worte Ermutigung für viele bedrückte Seelen, um wieder aufzustehen und gar ein neues Leben zu beginnen. Und nicht nur in Schönborn. Auch fast in jedem Haus in Pausching, Palanka, Kroatendorf, Sinjak und auch an vielen Stellen in der großen Stadt Mukacevo war sie gewesen und hatte stets ohne große Worte ein Stück der barmherzigen Liebe Gottes gebracht.

Ihr Leben war ein Gebet!

Geboren wurde sie am 4. November 1933 und erlebte im Bombenhagel die völlige Zerstörung ihrer Heimatstadt München während des II. Weltkrieges 1943. Leben in Notbaraken, Hunger und entbehrender Wiederaufbau waren ihre Kinder- und Jugendjahre. Als langsam Westdeutschland die Notzeit überwand, begann sie ihre berufliche Ausbildung im renommiertesten Feinkostgeschäft Münchens, bei Dallmayer. Dort lernte sie auch ihren späteren Ehemann kennen, der für den weitbekannten Kaffeebereich verantwortlich wirkte. Später arbeitete sie im Sekretariat der Universität München. Dem Ehepaar wurden zwei Kinder geschenkt – ein Mädchen, ein Junge. Sie erzählten, dass in ihrer Jugend das elterliche Haus weithin in Bettlerkreisen bekannt war und sogar von ihnen markiert wurde, weil diese Armen wussten, dass sie an der Haustüre dieser Frau Anneliese immer etwas zu bekommen hatten.

Die Kinder waren schon selbstständig als der Vater durch ein traumatisches Ereignis starb. Es war ein großer Schmerz für Anneliese, den sie bis in den letzten Tagen ihres Lebens vor Gott brachte. Nun war Anneliese alleine.

Im Mai 1996 organisierte unser Haus in Bad Herrenalb anlässlich meiner Priesterweihe eine Dankeswallfahrt nach Krakau, an den Ort, wo der Barmherzige Heiland sich der Schwester Faustina offenbarte. Wir waren damals Gründungsmitglieder der Bewegung der Göttlichen Barmherzigkeit in Krakau unter der Führung des Kardinals von Krakau und Papst Johannes Paul II.

Mit zwei Freundinnen meldete sich Anneliese zu dieser Buswallfahrt an. Die Mission für die Ukraine war in meinem Herzen sehr lebendig, sodass ich viel davon erzählte. Und das Erlebnis der Gnade durch das Leben von Sr. Faustina bewegte sehr intensiv, sodass Anneliese spontan sagte, dass sie mit mir in die Ukraine kommen wolle. Ich wiegelte zunächst ab, weil ich wusste in welchen bedürftigen Verhältnissen wir damals in Schönborn lebten (WC im Garten, kein richtiges Bad, schlechtes Wasser, Kälte usw.) Wird das eine deutsche 63-jährige Pensionärin ertragen? Ich sagte, dass sie zuerst einmal nach Medjugorje fahren solle, damit sie meine tiefen Beweggründe zu unserer Mission in der Ukraine besser verstehe. Und sie pilgerte mit ihren Freundinnen bald darauf nach Medjugorje. Tief berührt kehrte sie zurück und wollte nun unbedingt zu mir in die Ukraine kommen. Sie lebte damals in einer wunderschönen Penthouse-Wohnung in Unterhaching bei München. Ich riet ihr immer noch ab, diese schöne Wohnung zu verlassen. Aber sie war fest entschlossen, die Jahre, die ihr noch blieben ganz Jesus und Maria zu schenken und bei mir zu sein.

Anfang 1997 hatte sie ihre Wohnung aufgelöst und kam mit ihrem alten Auto nach Chop. Ich wollte sie über die Grenze holen, aber schon war sie ohne fremde Hilfe durch diese Grenze gefahren und wartete auf mich. Ich war sehr erstaunt, da doch alle diese Grenze sehr fürchteten.

In Schönborn war ich gerade dabei unser Zentrum aufzubauen. Es war eine lange Zeit nur Baustelle. Ich wollte sie in die Computer-Arbeit einführen, um mich in den vielen Briefen zu entlasten. Aber es wollte ihr nicht gelingen den Computer zu verstehen. Sie meinte, sie ist gekommen, für die Armen zu wirken. Ihr großes Vorbild war Mutter Teresa von Calcutta, die alles aufgab um den Ärmsten der Armen die Liebe Gottes erfahren zu lassen.

So begannen wir unser Wirken zu zweit in unserem Haus, das Stück für Stück wuchs mit diesem Innenhof, Saal und Kapelle. Viele Kinder und junge Menschen kamen zu uns. Anneliese kochte, sorgte sich um die Kinder um uns herum. Während ich in den Sommerferien mit den älteren Jugendlichen auf  Reisen und Wallfahrten war, organisierte sie Kinderspieltage und Ausflüge in die Umgebung.

Sie wurde die Mutter aller. Sie erweiterte ihr Wirken auf das ganze Dorf Schönborn, auf alle unsere Gemeinden Pausching, Sinjak, Palanka, Kroatendorf und noch viel weiter.

Ihr Herz galt auch den Alten, die oft einsam und traurig zu Hause waren. Sie lud sie aus den verschiedensten Anlässen zu Festen mit Kaffee ein. Sie sangen viele alte Lieder und immer wurde gemeinsam gebetet. Kinder bereiteten kleine Szene für diese Altentreffen vor, oft ließ sie auch eine Musikband kommen und forderte die Omas und Opas zum Tschardasch-Tanz auf. Es war immer viel Freude um sie herum. Trübsinn und das Sich-hängen-lassen konnte sie nicht ertragen. Depressionen trieb sie mit ihrer aktiven Freude den Menschen aus.

Schwester Anneliese baute kräftig mit am geistigen Haus, was um dieses Zentrum gewachsen war mit jungen und alten Menschen. So war unser Haus immer voll mit Menschen. Anneliese war die achtsame Mutter, die mit ihrer Tatkraft und mit ihrem liebenden Herzen vieles bewegte.

Schwester Anneliese lebte nach dem Wort unseres Herrn. „Euch aber muss es zuerst um sein Reich und um seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben.“ (Mt 6, 33) Meine Initiative bedürftige Familien und bedrängte Menschen in unserem Seelsorgegebiet mit einer Patenschaft zwischen Familien in Österreich, der Schweiz und Deutschland zu unterstützen übernahm Schwester Anneliese mit großem Einsatz, was sie aber viel Kraft kostete. Sie sorgte sich um den lebendigen Austausch zwischen den Menschen in Westeuropa und hier im Karpatengebiet. Teilweise betreuten wir Patenschaften mit rund 500 Familien.

Einmal begleitete eine junge Frau aus Deutschland 1999 unsere Jugendwallfahrt nach Schio und Rom. Da verspürte sie den inneren Ruf, zu uns nach Schönborn als Schwester Barbara zu kommen. Schwester Barbara wuchs unter den Flügeln von Schwester Anneliese zu einer sehr wichtigen Säule dieses geistlichen Hauses heran.

Sosehr Schwester Anneliese auf das Leid anderer Menschen achtete, so verbarg sie ihre inneren und körperlichen Leiden. Sie wollte niemanden zur Last fallen. Sie schenkte alle ihre persönlichen Nöte dem eucharistischen Heiland und opferte ihre Schmerzen den Nöten unserer Gemeinschaft und unseren Gläubigen. In den letzten beiden Jahren wusste sie von ihrer Krebserkrankung, die sie vor allen verbarg aber sich innerlich auf das Kommen Jesu als ihren göttlichen Bräutigam vorbereitete. Ihre Seele ist geschmückt wie eine Braut. Der Herr empfing sie vereint mit der Muttergottes und dem heiligen Josef. Es war gerade die Heilige Familie, die sie immer in ihrem Herzen trug.

„Weinet nicht!“ ruft uns Schwester Anneliese zu. Ich bin Gott unendlich dankbar für diese kostbaren 14 Jahre, die ich mit Schwester Anneliese zusammen erleben durfte. Wir alle dürfen uns heute freuen dass Schwester Anneliese vereint mit unserer lieben Schwester Bernardis am Tisch des ewigen Hochzeitsmahles unseres Erlösers und Herrn sitzt und sie für uns starke Fürsprecherinnen bei Gott sind.

Und nochmals lasst uns die Aufforderung von Schwester Anneliese zur Lebensleitlinie werden:

„Nicht weinen! Beten!“